Die Stärkung und Weiterentwicklung der EU ist die wichtigste Aufgabe meiner politischen Generation. Es ist Zeit, Europa zu erneuern!
Die bevorstehende Wahl wird nicht nur für Europa, sondern auch für unser Saarland von entscheidender Bedeutung sein – Es wird eine Schicksalswahl. Und ich bin ganz ehrlich… ich mache mir große Sorgen um unsere gemeinsame Zukunft.
Die Transformation unserer Wirtschaft und der klimaneutrale Umbau unserer Industrie erfordern nämlich nicht nur eine gemeinsame Anstrengung im Saarland, sondern auch eine gemeinsame Anstrengung in ganz Europa. Wir müssen die Abhängigkeit Europas vom Weltmarkt verringern und die wirtschaftliche Autonomie stärken. Wir müssen die EU mit ihrer Wirtschaft und Industrie krisen- und vor allem zukunftsfest machen.
Und hier sind wir an einem ganz entscheidenden Punkt. Wir sind weit entfernt von der alten Devise: „Der Markt wird das schon regeln.“ Wir sind längst weiter. Eine moderne Wirtschaftspolitik funktioniert heute nur in dem Zusammenspiel von Markt und Staat. Staatliche Strukturen sind notwendig, um die Kräfte des Marktes zu lenken. Und zwar in Richtung Dekarbonisierung, aber auch Digitalisierung. Aber mit Blick auf die europäische Ebene wird auch deutlich, dass wir mit kurzfristigen Maßnahmen und nationalen Anstrengungen die Herausforderungen nicht nachhaltig bewältigen können. Die Europäische Union muss in der Lage sein, ihre Kräfte zu bündeln: Ohne den gemeinschaftlichen und grenzüberschreitenden Ausbau erneuerbarer Energien und ohne gemeinschaftliche Investitionen in unsere Wirtschaft und unsere Industrie werden wir es nicht schaffen, die Transformation in der EU und im Saarland zu gestalten. Wir müssen die EU auf ein neues Level heben und sie nachhaltig krisen- und zukunftsfest machen.
Und deshalb ist die zukünftige Zusammensetzung des Europäischen Parlaments ist so wichtig, weil sie maßgeblich über den Erfolg oder Misserfolg unserer Transformation und somit unserer Zukunft entscheiden wird. Wenn Rechtsnationalen in Europa aus der EU austreten oder ein Europa der Vaterländer fordern, dann legten sie die Axt nicht nur an unsere Wirtschaft und Industrie, sondern auch an faire Löhne, Gute Arbeit und unseren Wohlstand. Wirtschaft und Industrie können aber nur ein Teil des großen Ganzen sein. Denn in denselben Maße wie die Reichen dieser Welt immer reicher und die Ärmsten immer ärmer werden, droht der gesellschaftliche Zusammenhalt innerhalb der EU, aber auch innerhalb Deutschlands zu zerreißen. Gleichzeitig führen die multiplen Krisen zu erheblichen Verunsicherungen von uns allen. Das Vertrauen in die Politik und in unsere Demokratie bröckelt. Rechtsnationalisten und Rechtsextremisten schlagen daraus Kapital. Sie bieten einfache Lösungen für komplexe Fragen und gewinnen damit jetzt auch Wahlen hier in Deutschland.
Mit dem Erstarken des Rechtsnationalismus und der steigenden Ungleichheit erleben wir also eine Krise des sozialen Zusammenhalts und der Demokratie. Ein Blick in die USA und China reicht: In dem Maße, in dem die Wirtschaft in China und den USA wächst, verlieren Solidarität und Gleichheit zunehmend an Bedeutung. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten muss uns also klar sein: Wirtschaftswachstum allein, kann nicht unser Ziel sein! Wirtschaftswachstum muss immer mit sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit im Einklang stehen.
Und ja, dazu gehört die Umverteilung genauso wie Angleichung von Unternehmenssteuern, das Schließen von Steuerschlupflöchern und dem Austrocknen von Steueroasen. Die Globale Mindestbesteuerung, die unser heutiger Bundeskanzler und damaliger Finanzminister Olaf Scholz auf den Weg gebracht hat, ist ein großer Erfolg. Daran müssen wir anknüpfen! Auch wenn man mit Steuerpolitik niemandem hinter dem Ofen hervorlocken kann, das weiß ich. Aber sie ist ein starker und wichtiger Hebel hin zu mehr Gerechtigkeit in Europa! Und gerade wir als SPD müssen uns trauen, auch die Vermögenssteuer auf den Verhandlungstisch zu legen. In Deutschland und in der gesamten EU. Wenn wir nicht endlich anfangen die Gewinne gleichmäßiger zu verteilen, droht uns eine echte soziale Krise, die den sozialen Zusammenhalt und auch den Frieden innerhalb der EU gefährdet. Wir können das nicht hinnehmen.
Wir müssen die Frage stellen, wieso sich die Armutsquote in den vergangenen 20 Jahren trotz stetigem Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum kein bisschen verändert hat. Seit 20 Jahren liegt die Armutsquote bei 20 %. Das sind fast 100 Mio. Menschen, die in der EU in Armut leben, in einer der reichsten Regionen der Welt. Das ist das Ergebnis von 20 Jahren konservativer EU-Politik. Wir müssen endlich die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt europäischer Politik stellen! Wir müssen endlich Menschenleben über ökonomische Werte stellen, Armut halbieren und Obdachlosigkeit beenden. Alles andere wäre ein echtes Armutszeugnis!
Alle Krisen der letzten 15 Jahre haben die Mitgliedstaaten der Europäische Union gleichermaßen herausgefordert. Ob Finanz- und Eurokrise, die Pandemie oder jetzt der Krieg mit seinen Auswirkungen. Und immer haben die Staaten ihrem nationalen Reflex nachgegeben und haben versucht, die Probleme allein zu lösen. Erst danach haben wir uns auf den Weg gemacht, nach gemeinschaftlichen Lösungen zu suchen. Der Wiederaufbaufonds Next Generation EU ist ein Paradebeispiel, wie wir als EU gemeinschaftliche Investitionen in die klimaneutrale und digitale Transformation gesteckt haben. Aber er ist, wie jedes andere Instrument, zeitlich begrenzt und letztendlich aus der Not heraus geboren. Es gibt keine Einigkeit darüber, wie wir die Probleme der Zukunft gemeinschaftlich lösen wollen.
Wir deshalb müssen wir uns also auch die Frage stellen: Welches Europa wollen wir?!
Wollen wir ein Europa der Vaterländer?
Oder wollen wir ein souveränes, demokratisches, freiheitliches und soziales Europa? Wenn wir es mit der Zukunft Europas wirklich ernst meinen, dann müssen wir nicht mehr und nicht weniger als einen föderalen Bundesstaat anstreben. Und zwar auf allen politischen Ebenen.
Denn, entweder handelt die EU gemeinsam und wird zu einer echten politischen Union, eine Union, die in der Lage ist, Probleme auch zu lösen. Oder ich fürchte, die Europäische Union wird nicht überleben. Die Stärkung und Weiterentwicklung der EU ist die wichtigste Aufgabe meiner politischen Generation.
Es ist Zeit, Europa zu erneuern.
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